"Look - Nobody gives a Shit"
- Christiane

- 25. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Vor kurzer Zeit war ich, so wie immermal, im Raum Dresden Teil des Teams für einen "Gesundheitstag" in einem mittelständischen Unternehmen. Bei solchen Einsätzen lernt man durchschnittlich 40 Personen sehr gut, wenn auch in kurzer Zeit, kennen. Das ist oft eine wertvolle Erfahrung und ich konstatiere dann durchaus einen größeren Nutzen des Angebotes, das für meinen Teil zumeist aus Analysen der Haltungsstatik und Empfehlungen im Bereich des sportlichen Lifestyles besteht - alles soweit gut.

Und dann wandere ich so durch die Gänge, genieße einen Milchkaffee in aller Ruhe und immer wieder, egal, wo auch immer "Gesundheitstage" stattfinden, höre und lese ich diese drei Reizworte, die ich gern für mein wertes Lektorium einmal unaufgeregt und sachlich - ich will es zumindest versuchen - in diesem Blogbeitrag besprechen möchte. Aber zunächst hole ich mir einen Milchkaffee.
"Ganzheitlichkeit" - Hauptsache, keiner merkt, dass wir planlos sind
Es gibt Wörter, die sind so abgegriffen, dass man sie eigentlich gleich in den Container für verbale Altlasten werfen sollte. Ganzheitlichkeit zum Beispiel. Ein Begriff, der auf jedem Gesundheitstag so sicher auftaucht wie der obligatorische Smoothie-Stand, bei dem schon der Geruch nach Sellerie den Magen rebellieren lässt. Die Szene ist immer dieselbe: Vorne steht eine Dame in Leinenhose, spricht mit einem Lächeln, das so streng ist wie beim Hausmeister mit Schlüsselbund, und verkündet: „Wir müssen den Menschen ganzheitlich betrachten.“ Applaus im sich beobachtet fühlenden Publikum, als wäre gerade die Relativitätstheorie bewiesen worden.
Und der Mensch? Der sitzt mittendrin, voller Schuldgefühle, weil er am Wochenende ein Croissant gegessen hat. Ganzheitlich ist daran höchstens die Tatsache, dass man sich Körper, Geist und Seele gleichzeitig vermiest.
„Ganzheitliches Training“ – was soll das eigentlich sein? Reicht es nicht mehr, einfach Kniebeugen zu machen, bis die Beine brennen? Offenbar nicht. Heute muss alles ganzheitlich sein. Im Fitness-Kontext bedeutet das meistens: Man macht ein bisschen "Yoga", ein bisschen Functional Training, eine Prise Atemübung, und nennt das Ganze dann „Workout für Körper, Geist und Seele“.
Klingt toll, oder? In Wahrheit sieht es so aus:
Körper: bekommt fünf Gummibänder umgehängt und macht Ausfallschritte, bis die Hüfte knackt.
Geist: darf sich anhören, wie wichtig es ist, „seinen inneren Schweinehund liebevoll zu umarmen“.
Seele: seufzt still und wünscht sich ein alkoholfreies Hefeweizen.
Und das Beste: Am Ende steht da jemand vorne, der verkündet: „Nur wer ganzheitlich trainiert, ist wirklich fit!“ Aha.
Fakt ist: Ganzheitliches Training ist oft ein hübsches Etikett, das kaschiert, dass man einfach nicht weiß, was man trainieren will. Ein bisschen Cardio, ein bisschen Balance-Board, ein bisschen Esoterik-Geschwurbel – und zack, hat man ein „ganzheitliches Konzept“. Die ehrliche Übersetzung wäre: „Wir haben keinen klaren Plan, also machen wir von allem ein bisschen, und verkaufen es als Lifestyle.“
Wirklich ganzheitlich wäre doch:
Bankdrücken,
Laufen im Regen,
Pizza essen,
und hinterher acht Stunden Schlaf.
Das wäre wenigstens Training für Körper, Geist und Seele – und zwar ohne dass man auf einem Yogablock sitzen und Mantras murmeln muss.
"Faaaszieennn" - und der heilige Schaumstoffzylinder
„Myofasziale Dysfunktionen“, „mechanotransduktiver Reiz“ oder auch „fasziale Verklebungen“ – das klingt erstmal wie ein Kongress für Quantenphysik. In Wahrheit ist es aber das, was man sich einredet, während man sich auf einem Schaumstoffzylinder wälzt. Das Problem: Die Idee, man könne mit einer Rolle die Faszie selbst „lösen“, ist anatomisch ungefähr so realistisch wie der Versuch, durch festes Streicheln des Bauches die Bauchspeicheldrüse zu trainieren. Die Faszien sind unter den Muskeln, eingewoben, filigran, dünn. Was man mit der Rolle bearbeitet, sind bestenfalls Haut und Muskeloberfläche. Die Faszie selbst bekommt von all dem Rumgerolle exakt nichts mit.
Dafür kriegen andere Strukturen ordentlich ihr Fett weg – allen voran die Venenklappen. Die sitzen brav in unseren Beinvenen und sorgen dafür, dass das Blut gegen die Schwerkraft wieder hoch Richtung Herz fließt. Drückt man ständig mit dem gesamten Körpergewicht darüber, werden die Dinger plattgemacht wie Kaugummi unter der Schuhsohle. Ergebnis? Chronisch überlastete Venen, eventuell Krampfadern. Aber hey – Hauptsache, die „fasziale Fitness“ stimmt!
Und wenn dann einer sagt: „Ich spüre, wie sich die Verklebungen lösen!“ – dann ist das nichts weiter als der Nocebo-Placebo-Effekt deluxe. Man spürt Druckschmerz, interpretiert ihn als „Reinigung“ und fühlt sich kurzzeitig besser. Das ist ungefähr so logisch, wie wenn man glaubt, Kopfschmerzen verschwinden, nur weil man den Schädel gegen die Wand hämmert.
Aber keine Sorge: Mit den richtigen Buzzwords kann man das alles verkaufen. Einfach noch „interfibrilläre Matrix-Reorganisation“ draufschreiben, ein paar Diagramme mit Linien und Pfeilen zeigen – und zack, kostet der Schaumstoffzylinder nicht mehr 10, sondern 60 Euro.
Fazit: Faszientraining ist das perfekte Fitness-Bullshit-Bingo. Es klingt wissenschaftlich, fühlt sich schmerzhaft an – und am Ende trainiert man höchstens seine Leidensfähigkeit. Und da sind wir auch schon genau bei meinem Reizwort Nummer 1, der für alle Zeiten schrecklichste Begriff, den Trainer und Arbeitspsychologen in die Betriebe schleppen konnten, das Schlimmste (!) mit Abstand, das man mit mündigen Menschen tun kann:
RESILIENZTRAINING - der Burnout-Booster im Business-Outfit
Resilienz. Klingt edel. Fast wie ein seltenes Edelmetall oder eine esoterische Droge aus den Anden. In der Realität bedeutet es: Lern, gefälligst besser mit Scheiße klarzukommen, statt sie zu beseitigen.
Willkommen beim Resilienztraining! Der neue Firmen-Hype, der den Mitarbeitern beibringt, wie man sich selbst optimiert, um noch effizienter ausgepresst zu werden. Früher hieß das „Durchhaltevermögen“ oder „Friss und sei still“. Heute heißt es „Achtsamkeitstraining für deine innere Stärke“.
Das Muster ist simpel:
Chef: „Wir erhöhen den Druck, sparen Personal ein, verdoppeln die Deadlines.“
Mitarbeiter: „Ähm … ich kann nicht mehr.“
Chef: „Kein Problem, wir schicken dich ins Resilienztraining. Danach bist du glücklich, während du zusammenbrichst.“
Das Ganze ist nichts anderes als Gaslighting im Business-Kostüm. Dir wird eingeredet, deine Grenzen wären gar keine Grenzen. Dein Körper schreit nach Pause? Ach was, du musst nur lernen, deine Stressoren positiv umzudeuten. Dein Herz rast? Gratuliere, das ist nur die „Challenge Zone“!
Und am Ende? Sitzt du da, meditierst dich in den Burnout, mit dem Mantra: „Ich bin stark, ich kann alles schaffen.“ Spoiler: Nein, kannst du nicht. Niemand kann das. Nicht mal dein Chef.

Besonders schön ist, wie Resilienztrainer ihre Folterkammer verkaufen: „Sie lernen, Belastungen in Ressourcen umzuwandeln.“ Klingt super. Faktisch heißt das: Dein Schlafmangel wird zur Stärke, deine Migräne zur Chance, deine Depression zum „Wachstumsprozess“. Da fragt man sich: Wann wird der Herzinfarkt endlich als Karriere-Bonus anerkannt?
Fazit: Resilienztraining ist kein Schutz vor Burnout – es ist die Gebrauchsanweisung dafür. Denn wer dauerhaft auf seine Grenzen scheißt, landet irgendwann garantiert dort, wo’s richtig „achtsam“ wird: in der Klinik.
Und dann komme ich nach meinem Spaziergang wieder in meinem Raum an, habe inzwischen wieder einen neuen heißen Milchkaffee auf meinem Schreibtisch stehen, es klopft - herein kommt ein mittelalter, mittelsportlicher, mittelgutaussehender und mittelfreundlicher Mann der sagt: "Ist das hier wie da vorne? Ich habe noch ganz schön viel zu tun. So ein Scheiß - der soll mal hier in die Produktion mit seiner scheiß Resilienz. 8 Stunden Linientakt - ich hab Rücken. Gibt's da was?" Ich lache, lehne mich zurück. Und beginne.



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