Das Leben ist kein Ponyhof
- Christiane

- 6. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
oder: Wenn Erwachsene verlernen, Mensch zu sein

Neulich in einer Schule. Ein Mädchen wird seit Wochen gemobbt. Sie kommt weinend nach Hause, immer wieder. Ihre Mutter sucht das Gespräch, bittet die Erzieher um Hilfe, weil ihr Kind offensichtlich leidet. Und dann fällt dieser Satz – achtlos, kalt, herablassend: „Das Leben ist kein Ponyhof.“
Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe, aber jedes Mal zieht er mir die Schuhe aus. Ich spürte richtig, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Was für ein armseliger Versuch, eigene Überforderung zu tarnen! Was für ein bequemer Satz, um Verantwortung abzuschieben und gleichzeitig so zu tun, als würde man „Realität“ lehren. Was soll das bitte heißen? Dass Kinder schon früh lernen sollen, dass es Ungerechtigkeit gibt? Dass man Leid aushalten muss, weil das „eben dazugehört“? Oder geht es in Wahrheit darum, dass Erwachsene ihre eigene Überforderung und Gefühllosigkeit rechtfertigen? Denn eines ist sicher: Wer einem Kind oder einer Mutter so etwas sagt, schützt nicht das Kind – sondern sich selbst.
Schwarze Pädagogik in der Softshelljacke
Die sogenannte „schwarze Pädagogik“ ist nicht verschwunden. Sie hat sich nur ein neues Outfit angezogen. Früher hieß es „Wer nicht hört, muss fühlen“. Heute sagt man „Das Leben ist kein Ponyhof“. Das Prinzip ist dasselbe: Härte als Tugend, Empathie als Schwäche, Anpassung als Überlebensstrategie.
Solche Sätze stammen meist von Menschen, die gelernt haben, dass man Emotionen unterdrücken muss, um durchzukommen. Die sich selbst so sehr im Griff haben, dass sie andere am liebsten gleich mit kontrollieren würden. Man erkennt sie daran, dass sie jede Form von Weichheit als Bedrohung empfinden. Dass sie, anstatt Mitgefühl zu zeigen, reflexartig mit Floskeln reagieren, die nichts anderes tun, als ihre eigene emotionale Unreife zu kaschieren.
„Das Leben ist kein Ponyhof“ ist also kein pädagogischer Satz – es ist ein Abwehrmechanismus. Eine Distanzierungsstrategie. Ein Schutzschild gegen das eigene schlechte Gewissen.
Was dahinter steckt
Wer so spricht, verrät viel über sich selbst. Solche Menschen sind oft überfordert, zynisch oder innerlich leer. Sie haben verlernt, zwischen echtem Mitgefühl und Mitleid zu unterscheiden, und halten beides für gefährlich. Sie fürchten Nähe – weil Nähe Verantwortung bedeutet. Sie haben gelernt, dass Nähe gefährlich ist, dass Mitgefühl Zeit kostet, und dass Empathie Schwäche bedeutet. Also flüchten sie sich in Sätze, die ihnen die Illusion geben, stark zu sein.
Doch in Wahrheit ist das Gegenteil der Fall: Es ist Schwäche, wenn man das Leid anderer abwerten muss, um sich selbst stark zu fühlen.
Und es ist gefährlich, wenn solche Haltungen in der Kinder- und Jugendarbeit geduldet werden. Denn Kinder lernen schnell. Wenn Erwachsene auf Schmerz mit Zynismus reagieren, lernen Kinder, dass ihre Gefühle keinen Wert haben. Dass Weinen peinlich ist. Dass Hilfesuchen sinnlos ist. Und irgendwann reagieren sie selbst mit Härte – gegen andere oder gegen sich selbst.
Menschen, die solche Sätze sagen, sind selten böse. Aber sie sind oft emotional erschöpft, abgestumpft oder blind vor Selbstschutz. Sie haben sich selbst abtrainiert, Mitgefühl zuzulassen – weil sie sonst merken würden, wie viel in ihrem System nicht stimmt.
Und so erklären sie ihre eigene Kälte zur Lebenserfahrung. Sie glauben, sie seien realistisch, dabei sind sie nur resigniert. Sie verwechseln Stärke mit Unempfindlichkeit und Verantwortung mit Kontrolle. Doch Stärke bedeutet nicht, Tränen zu ignorieren. Stärke bedeutet, sie auszuhalten.
Was auf Ponyhöfen wirklich passiert
Und jetzt kommt der eigentliche Zynismus dieses Satzes: Selbst Ponyhöfe sind kein Ponyhof. Wer jemals einen echten Ponyhof erlebt hat, weiß: Da stehen keine glitzernden Ponys, die mit flatternder Mähne über Wiesen galoppieren, während Kinder fröhlich kichern. Da stehen überarbeitete Tiere, die sich tagtäglich auf Zuruf von Kindern herumzerren lassen müssen. Ponys, die stumpf in der Reitschule ihre Runden drehen, immer dieselben Kreise, dieselben Hände, dieselben Befehle. Manchmal gibt’s einen Klaps, weil sie „nicht gehorchen“. Manchmal einen scharfen Zug am Gebiss, weil sie „bockig“ sind.
Das, was man dort oft sieht, ist keine Idylle – es ist Dressur und Funktionieren, hübsch verpackt im Heu. Genau wie in der Pädagogik, in der dieser Satz so gern fällt.
Kinder sollen funktionieren, aushalten, nicht jammern. Sie sollen brav ihre Runden drehen, egal, wie müde, traurig oder überfordert sie sind. Und wenn sie sich wehren – dann heißt es: „Das Leben ist kein Ponyhof.“
Ironisch, oder? Wir nehmen den Ort, an dem Tiere still ihre Freiheit verlieren, als Symbol für das, was angeblich „zu weich“ ist.
Was Kinder brauchen
Kinder brauchen keine Lektionen in Ungerechtigkeit. Davon gibt es in der Welt genug. Sie brauchen Erwachsene, die Verantwortung übernehmen, die ihre eigenen Grenzen kennen, und die nicht vor Schmerz flüchten, sondern ihn verstehen wollen. Erst dann können sie Kindern zeigen, wie man mit schwierigen Situationen wirklich umgeht – nicht mit Sprüchen, sondern mit Menschlichkeit.
Kinder brauchen keine Lehrstunden in emotionaler Kälte. Sie brauchen keine Erzieher, die ihnen Härte predigen, während sie selbst vor jeder Emotion flüchten. Kinder brauchen Erwachsene, die authentisch sind, verletzlich bleiben und ihre Grenzen kennen, ohne die der anderen zu überschreiten. Menschen, die nicht Sprüche klopfen, sondern hinsehen – auch wenn es weh tut.
Denn nur wer Mitgefühl zeigt, kann Menschlichkeit vermitteln. Nur wer selbst warm geblieben ist, kann Kinder durch die Kälte führen.
Ein Ponyhof mag hart, züchtigend und fremdbestimmend sein – dennoch wahrscheinlich harmloser als das Leben, das wir in Freiheit führen dürfen. Wirklich schlimm wird es nur, wenn wir aus unserem eigenen Leben einen emotionalen Schlachthof machen, an dem Gefühle zertreten, Tränen ignoriert und Mitgefühl zur Schwäche erklärt werden. Dann könnten selbst die Ponys Mitleid mit uns haben – und das sollte uns wirklich zu denken geben.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen tollen Verein in Naumburg hinweisen, der viel besser ist, als ein Ponyhof. Hier wird Tieren aktiv geholfen, in Freiheit und ohne Qual zu leben - auch in den letzten Tagen!
Gnadenhof Naumburg
(03445 67 49 879)
Neidschützer Straße 73
06618 Naumburg
Sparkasse Burgenlandkreis
DE39 8005 3000 1141 4239 40
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