Wirklich Gute Vorsätze
- Christiane

- vor 6 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Und da ist sie wieder: die Zeit der „guten Vorsätze“.
Nur noch ein Weihnachtsfest.

Gut, Silvester kommt auch noch.
Und dann geht’s los. Wirklich!
Dann mache ich mehr Sport.
Dann ernähre ich mich gesünder.
Dann verschwindet der Weihnachtsspeck wieder.
Für immer. Ganz bestimmt.
Indianerehrenwort.
Im Januar quellen die Studios und Laufstrecken wieder über von übermotivierten Menschen, die jetzt endlich alles ändern wollen – schon wieder. Wie jedes Jahr. Erfahrene Sportler wissen genau, welche Tageszeiten man im Studio besser meidet. Läufer und Rennradfahrer bleiben lieber gleich drin. Sie kennen das Gedränge auf den immer gleichen Strecken, in den berühmt-berüchtigten Wäldern.
Im Februar ebbt das Ganze langsam ab. Es wird ruhiger. Und die, die ohnehin sportlich aktiv sind, bleiben wieder unter sich.
Die Ernährungsbewussten sind da längst woanders.
Denn jeder weiß: Ein Sixpack wird im Kühlschrank gemacht.
Sie haben schon im Dezember darauf geachtet, womit sie ihre „Maschine“ betanken. Und hören trotzdem ständig dieselben Sätze:
„Du kannst ja essen, was du willst!“ „Ich muss das Dessert nur anschauen, da nehme ich schon zu!“
Gesagt wird das auf Gesundheitstagen, Familienfeiern, am Arbeitsplatz – und besonders gern im Sommer.
Dabei tun diese Menschen oft nur eine einzige Sache: Sie bleiben kontinuierlich dran.
Eine Kugel Eis reicht. Ein Brätel beim Grillen reicht. Brot lasse ich weg, dafür mehr Rohkost. Ein Glas Wein – dann Wasser. „Gibt es auch ein alkoholfreies Weizen?“
Nichts davon ist spektakulär. Aber es ist konsequent.
Und genau hier stellt sich die eigentliche Frage: Warum fällt es manchen Menschen so unglaublich schwer, ihre Gewohnheiten zu verändern?
Warum scheitern so viele Vorsätze – Jahr für Jahr – zuverlässig?
Damit sind wir beim Kern dieses Artikels: Falsche Vorsätze, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Nicht, weil Menschen zu undiszipliniert sind. Sondern weil die Grundhaltung die falsche ist.
Denn Ursache und Grund für bestimmte Verhaltensweisen liegen selten im Essen oder im Bewegen selbst. Sie liegen darin, warum ein Mensch etwas gerade braucht. Oder glaubt, es zu brauchen.
Und während draußen wieder darüber diskutiert wird, wie man sich im neuen Jahr „besser im Griff“ hat, musste ich an ein Gespräch denken, das mir vor einiger Zeit geblieben ist.
Eine Klientin. Und Freundin. Lange Zeit in einer Reha. Wegen schwerer Depressionen.
Keine Neujahrsvorsätze. Kein Optimierungsplan. Kein „Jetzt wird alles anders“.
Dort ging es nicht darum, mehr auszuhalten. Nicht darum, resilienter zu werden. Und schon gar nicht darum, möglichst schnell wieder zu funktionieren. Es ging um etwas viel Unspektakuläreres – und gleichzeitig um etwas Existenzielles.
Sie erzählte mir von einem Satz, den sie dort gelernt hatte. Kein Mantra, kein Kalenderspruch. Eher eine Erkenntnis, die man sich nicht aussucht, sondern die bleibt, wenn vieles andere nicht mehr trägt.
„Jedes Nein ist ein Ja zu dir selbst.“
Als sie das sagte, wurde es still. Nicht betroffen. Sondern klar.
Und plötzlich wirkten all die guten Vorsätze da draußen merkwürdig hohl.
Denn was nützt mehr Disziplin, wenn die Richtung nicht stimmt?
Was nützt mehr Durchhaltevermögen, wenn man sich dabei selbst verliert?
Dieser Satz hat nichts mit Sportplänen oder Ernährungsregeln zu tun. Aber er erklärt sehr viel davon. Deshalb möchte ich heute keine neuen Vorsätze propagieren, sondern Alternativen anbieten. Haltungen. Innere Entscheidungen.
Vielleicht führen sie als Nebeneffekt dazu, dass Ziele wie eine Ernährungsumstellung oder mehr Bewegung plötzlich leichter werden. Also, los geht's!
Ich sage Nein, ohne mich zu erklären.
Ein Nein braucht keine Begründung, um gültig zu sein. Und doch liefern wir sie reflexartig mit – oft länger als nötig.
Man kann das gut beobachten: Jemand sagt „Nein, das schaffe ich nicht“ – und hängt sofort drei Sätze hinterher. Über Termine, Müdigkeit, Verpflichtungen, Gewissen. Als müsse das Nein erst genehmigt werden.
Ich nehme mir vor, das wegzulassen. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern aus Klarheit. Ein Nein ist kein Angriff. Es ist eine Entscheidung.
Ich will weniger Resilienz – und mehr Veränderung.
Resilienz ist ein Wort, das heute gern benutzt wird, wenn etwas eigentlich nicht mehr tragbar ist. Es klingt gut. Stark. Erwachsen.
In der Praxis heißt es oft: „Du schaffst das schon.“ „Da musst du durch.“ „Daran wächst man.“
Ich nehme mir vor, nicht resilienter zu werden gegenüber Dingen, die mich dauerhaft erschöpfen. Nicht jede Belastung verdient Widerstandskraft. Manche verdienen einen Ausstieg. Oder zumindest ein ernsthaftes Infragestellen.
Ich verwechsele Stress nicht mehr mit Bedeutung.
Man sieht es überall: Volle Kalender, schnelle Antworten, permanente Erreichbarkeit. Wer gestresst ist, gilt als wichtig.
Dabei ist Stress oft nur ein Zeichen dafür, dass zu wenig Raum da ist – nicht, dass etwas besonders wertvoll wäre.
Ich nehme mir vor, Bedeutung nicht mehr an Erschöpfung zu messen. Nicht alles, was mich fordert, fördert mich auch.
Ich höre meinem Körper früher zu.
Der Körper meldet sich selten überraschend. Er kündigt sich an. Leise. Hartnäckig. Ein Ziehen hier. Müdigkeit dort. Immer diese Nackenschmerzen. Mein Kopf fällt fast ab. Gereiztheit ohne klaren Anlass. Wir übergehen das gern – bis es nicht mehr geht.
Ich nehme mir vor, früher hinzuhören. Nicht erst, wenn der Körper laut wird. Sondern dann, wenn er noch flüstert.
Ich lasse Rollen los, die mich müde machen.
Manche Rollen haben wir so lange gespielt, dass wir sie für unsere Persönlichkeit halten. Die Zuverlässige. Der Starke. Die, die immer kann. Der, der alles weiß. Man erkennt sie daran, dass sie Applaus bringen – aber kaum Erleichterung.
Ich nehme mir vor, Rollen loszulassen, die mich mehr kosten als tragen.
Nicht jede Rolle, die funktioniert, ist auch gesund.
Ich erlaube mir, unbequem zu sein.
Authentizität ist kein Wohlfühlkonzept. Sie sorgt nicht automatisch für Zustimmung. Wer ehrlich Nein sagt, irritiert. Wer sich verändert, passt nicht mehr in jedes Bild.
Ich nehme mir vor, diese Unbequemlichkeit auszuhalten. Nicht um zu provozieren – sondern um stimmig zu bleiben.
Ich halte nicht mehr aus, was mich innerlich leer machT.
Aushalten gilt als Stärke. Dabei ist es oft nur Gewohnheit – oder Angst vor Veränderung. Manchmal hält man Dinge aus, weil man sie schon so lange aushält. Und vergisst dabei zu prüfen, ob sie überhaupt noch einen Platz im eigenen Leben haben.
Ich nehme mir vor, genauer hinzusehen. Nicht alles, was möglich ist, ist auch sinnvoll.
Und für alle, die gerade denken:
„Schön und gut, aber um das alles wirklich umzusetzen, müsste ich eigentlich kündigen…“
Keine Sorge. Ihr müsst nicht.
Viele von euch sind Führungskräfte. Menschen mit Verantwortung, Kalendern ohne Lücken und der bemerkenswerten Fähigkeit, das Unmögliche möglich zu machen – für andere, nicht immer für euch selbst.
Manche Vorsätze lassen sich nicht einfach umsetzen – aber sie lassen sich humorvoll unterlaufen. Wer ernsthaft glaubt, man könne in einem komplexen System immer stressfrei, immer authentisch, immer entspannt bleiben, unterschätzt die Realität – oder überschätzt Ratgeberliteratur.

Vielleicht ist Humor genau das, was euch rettet. Nicht als Verdrängung, sondern als kleine Form von Freiheit.
Denn manchmal ist das Mutigste nicht das Nein, sondern das innere Lachen, wenn ihr es gerade nicht sagen könnt.
Bis dahin: Lacht über die kleinen Absurditäten, nehmt euch nicht zu ernst – und erinnert euch daran, dass ihr euch selbst immer noch ein Ja geben könnt - was eine tolle Haltung für 2026!
„Ich liebe es, neue Vorsätze zu fassen – sie sind die einzige Form von Optimismus, die garantiert scheitert.“ (C. Bukowski)



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